Andrea Karimé

3 unveröffentlichte Gedichte & 3 "Tagebuchstaben" von Blanka Beirut


Andrea Karimé

vogelmots *

 

trinke schattensaft aus einer mauer ragt

ein maßband stille zu messen

 

in schüchternes rot fallen

lichstreusel mooshaube birkenvolants

 

blatt halm wort auf meiner zunge

 

wer fädelt da so unermüdlich

klangkugeln auf luftketten?

da: meisen gossip gewölk über dem boden

 

auch im bordun des fernen verkehrs

stolzieren vogelmots

 

 

*das Wort "vogelmot" entstammt einem Text von Dagmara Kraus

Andrea Karimé

kehr wieder, letterling

 

am ende der sackgasse wohnt der mut

gesang von amsel drossel und schlamassel

 

gedrängel der wolken, zurück sagen

fink und star und letterling aus dem gebüsch

 

fagott des windes dichten in schneelatein

 

Andrea Karimé

montag

 

 

gott hütet seine motten in lichten jackenbarschen kein ton kein wortkrumen kein salzkorn nur die minuten in schuppigen seiten leuchtreime keimen

 



1. Blanka Beirut / Tagebuchstaben #520

Notiz aus Karantänekwartier. 2. Silabilliges.

 

Lohnt’s sich zu singen, wo niemand hört, /am Meeresboden zu trällern? Jelena Schwarz

 

 

Irgendetwas Namenloses überspült Blanka Beirut in diesen Tagen. Es ist aus Seuchensorge, Ballast und weiteren traurigen Ingredienzien gemacht. Zum Beispiel der aktuellen Himmelfarbe. Wie frisch poliertes Blaumilchglas mit Blick in ungewisse Alphabete. Und ein Knäul aus Fürchten und Haaren hat sich im Magen breit gemacht. Trotzdem singt sie Meereslieder mit Tönen aus dem zedernen Koffer und der Weißheit einer geschmirgelten Zahnreihe. 

 

Der Nymphensittich kommt gerührt aus der Handtasche, mit gewissen Zetteln im Gefieder, die er mit einem kräftigen Flügelschlag in Flugblätter verwandelt. Eins landet vor Blankas Füßen. Ai aß Ei, steht da und Wo du Po? Was soll das? „Aber Blanka, das sind doch Gedichte mit Wörtern aus 2 Buchstaben!“ Ah, das ist wirtschaftlich und sparsam, wie Blankas Speiseplan. Ihre Mahlzeiten enthalten auch immer nur zwei Zutaten. Immerhin darf sie nicht raus und Lieferdienste sind ausgebucht. Ah du Oh. Ah du ah? Ah du ja! Und über allen Konsonanten schläft diese winzige Drei, die Verdopplung bedeutet. Ahh, ddu, jja. „Schädda heißt das Zeichen. Arabisch, gewiss, gewiss!“, geifert der Nymphensittich. „Vielleicht bin ich doch ein A-Rabe?“

Da kommt ein kräftiger Windstoß durchs Fenster und nimmt die Flugblätter mit. Eins landet in einem scheißfarbenen Schopf, der gerade hämisch in sein Smartphone tippt. Botschaften an Regierungsmitglieder. Coronare Todeswünsche und Vernichtungsankündigungen. Die in einem Elixier aus Hass und Schadenfreude schwimmenden Augen würde Blanka noch von einer Wolke aus erkennen.  

 

Mit Gänsehäuten auf der Zunge fragt sich Blanka, ob so ein Unmenschling auch Anspruch auf einen Bazillentöter hätte, im Fall der Fälle? Oder gar auf einen Impfstoff? Blanka will gerade ein Transparent schreiben „Keine Impfstoffe für Menschenfeinde“, da fällt ihr eine Silbe namens Silabille No in die Feder. „So etwas machen Menschenfreunde doch nicht!“, mahnt diese, „Jeder darf jederzeit alles sagen! Feindesliebe ist Bürgerpflicht!“. Aber anscheinend nur für die eine Seite, denkt Blanka und sieht, wie Silabille No sich augenblicklich mit dem Nymphensittich anfreundet, der sie für ewig zärtlich auf einen Notizzettel bannt.

 

 

2. Blanka Beirut / Tagebuchstaben #120

Tubercula oder Schreiben statt Kotzen

 

 

 

Sagtest du Ferkel oder Schnörkel?, fragte die Katze. Alice im Wunderland

 

 

Morgens schneidet ein ungemütlicher Wolkenwinkel durch Blanka Beiruts Himmel. Ein aschgrauer Imperativ, denkt sie und sichtet ihre Handtasche. Wörter und Sätze. Und der Nymphensittich. Der gruselt sich heute. Aber nicht vor den Gespenstern des Karnevals. Nein, viel mehr vor den Gestalten, die in scheißfarbenen Socken durch die Zeit schleichen. Riecht denn niemand diese Exkremente, hass- und brand- und morddurchmischt?  Blanka sagt: „Braun ist auch nur eine Farbe!“ Und schon kuschelt sie mit der Sagenichtsmasse. In der Braun so schön gedeihen kann. Von schleichen kann nämlich keine Rede sein, denkt sie trotzig. „Die haben kleine Sensen unter ihren Schuhen“, schreit der Nymphensittich, der Gedanken lesen kann. „Jeder Schritt ein Riss in den Asphalt der Demokratie!“

Blanka Beirut will von nichts was wissen und schraubt Beirut von ihrem Namen ab. Weil auf Listen Libanon steht. Dann häkelt sie einen Kamelhöcker in Sittichgröße zum Trost. Für Karneval. Doch jetzt bricht erst recht Panik in der Handtasche aus. „Ich sagte Höcker, nicht Höcke!“, mahnt Blanka und steckt Beirut und Kamelkostüm in ihre Handtasche. Doch vergebens, der Nymphensittich besteht auf eine weniger stinkende Verkleidung.

 

Jetzt reichts! Dann eben Kamelle. Gegen das Gezeter des Taschenfederviehs bringt sie die Handtasche zum gestreiften Nachbarn. Und zieht los. Mit Plastiktüte. Doch vor der Tür malt giftiges Sonnengelb ins Graulicht. Sie tritt auf einen verlorenen Schnuller und seltsame Percussion fällt vom Baum. Specht versehrt, denkt Blanka und hört den Nymphensittich aus dem Haus quietschen wie eine Luftballontrompete. Von Kamelle nix zu sehen. Da lässt ein Sturm Tetra Pak mit der Aufschrift „Glücklicher Apfel“ über die Straße wabern. Glücklich genug um Scheißhaufen auszuweichen, doch nicht stark genug um sich gegen den Wind zu wehren. Blanka steckt den Quader in ihre Tüte bevor auch der glückliche Apfel mit dem Wind will. Jetzt merkt sie, dass Braun stinkt und ein Wahlergebnis auch. Und ihr wird übelst übel.

Zuhause holt Blanka Handtasche, Stift und Papier. Schreiben statt Kotzen, denkt sie und schüttet sich aus in Schrift. Aha. In den Schnörkeln singt ein kleines fröhliches Ferkel und – oh Fortuna- die Antwort: Tubercula. Der neue Name vom Häkelhöcker. Ab mit dem in die Handtasche und Beirut schnell wieder an seinen Platz. Endlich zieht der Nymphensittich sein duftig getauftes Häkelkostüm über. Alaaf, kräht er in Papageientonart. Tuberkula Minor. Minus Höck.

 

 

3. Blanka Beirut / Tagebuchstaben #220

Wo ist Justitia? oder braun graut.

 

Dunkel Regenstraßen verharren auf dem See, Perlengehänge, Geometrie. Hans Eichhorn

 

 

Weiß weiß. Schwarz schwärzt. Grün grünt. Ausnahme: Braun graut. Das ist die neudeutsche Grammatik der Farben, denkt Blanka Beirut an diesem Sorgenmorgen, an dem undurchsichtige Wortgebüsche auf dem Blatt wuchern, und ein Teil eines Schnittlauchrohrs wie verwackelte Wiesenankündigung in ihrem Kaffee schwimmt. 

Ja, Braun graut. Doch die Welt setzt lieber die Virusbrille auf. Damit wird Braun farblos und alles andere ist voller winziger Pusteblumen. Die nicht Pusteblumen sondern Corona heißen. Blanka Beirut findet eins dieser Partikel im Nymphensittichgefieder. Und noch eins. Also ab in die Handtaschenquarantäne. Und auch Blanka muss in der Wohnung bleiben. 

Von der Straße kommen Geräusche trauriger Anlasser. Das ist die Geometrie des Regens, ja dunkle Regenstraßen, denkt Blanka. Oder ist es eine Taube, die vergeblich in einem Buch namens Luft blättert? 

 

Nein, es ist das Rauschen des gestreiften Nachbars. Seit gestern hat er eine neue Arbeit auf dem Ordnungsamt angenommen. Parkscheine schreiben und Falschparker abschleppen lassen ist die Devise. Er klingelt und will auch bei Blanka für Recht und Ordnung sorgen.  Der Nymphensittich soll sich nämlich recht ordnungsgemäß als Halsbandsittich ausgeben. Wegen seiner giftgrünen Federnfarbe. Es kann doch hier nicht jeder heißen, wie er will. Aber sagen darf doch jeder, was er will, weiß Blanka, denn ein Maulraum ist heutzutage rechtsfrei. Zum Beispiel der des Mannes, der heißt wie der Frühlingsmonat. Wo sich Islam und Clan und Recht und Ordnung zu einem Likör mischen, der das grauende Braun der Tage und seine ganze Korona noch höhnisch lachen lässt. Und beleidigen darf auch jeder jede. Vorausgesetzt natürlich das Wort Islam steckt im Schimpfwort. Kein Wunder, dass Justitia auf der Flucht ist.

Aber der gestreifte Nachbar will nur den Namen. Blanka greift zum Virus und sagt: „Sesam Corona“. Irritiert vergisst der gestreifte Nachbar Recht und Ordnung und bricht wie alle anderen zum Kauf eines Kleinnagers auf. Die Anklage fließt später mit desinfizierendem Handwaschmittel den Abfluss herunter. Begeistert huldigt der Nymphensittich Justitia, die  in der Handtasche untergeschlüpft ist, mit Quietschgesang: 

Gerechtigkeit, du meine Regenperle. Mein Jusmus, mein Safttaft.

 


Andrea Karimé ist 1963 in Kassel geboren und mit dem Klang vieler Sprachen aufgewachsen. Nach dem Studium der Musik- und Kunsterziehung arbeitete sie 12 Jahre als Grundschullehrerin. Heute lebt sie als freie Kinderbuchautorin, Dichterin und Geschichtenerzählerin in Köln. Für ihr Werk erhielt sie viele Stipendien und Auszeichnungen, zuletzt den Kinderbuchpreis NRW Mehr Info: http://andreakarime.de

 

Veröffentlichungen

 

2020 Blanka Beirut / Tagebuchstaben auf fixpoetry.com

2018 Sama, Schwein und das Geheimnis der Mühle, Picus Verlag

2017 schnittlinge, gedicht, in: Sachen mit Wörtern – Schnitte

2017 King kommt noch, Kinderroman ab 5, Peter Hammer Verlag

2017 Mondkaninchen, Bilderbuch, teilweise arabisch übersetzt, Picus Verlag Wien

2016 Jonny Himmelblau und der Millionenvogel, Kinderroman ab 10, Dix Verlag Düren

2015 schnittmenge schmetterling, gedichte in: postpoetry - Poesiebotschaften aus fünf Wettbewerbsjahren, Edition Virgines

2015 Kalim Baba und die Wörterlampe, Kinderroman ab 6, Picus Verlag Wien

2015 Jonny Himmelblau und das Geheimnis von Schweiger, Kinderroman ab 10, Dix Verlag Düren

2014 Poesie Vogel Sultan, Gedichte in: Mein wilder Kampf gegen die Angst, Elif Verlag

2009 Alif be das Klangfell haart sich, Gedichte, Verlag im Probenraum, Hamburg