1992 - 2022: vor 30 Jahren gründete sich die kurzlebige "Social Beat" Literaturbewegung...

2022 erschien die 9. Ausgabe des Magazins "MAULhURE" als SPEZIALNUMMER zum 30jährigen Jubiläum der legendären Social-Beat-Anthologie >Downtown Deutschland< - mit Beiträgen von u.a. Boris Kerenski, Marvin Chlada, Kersten Flenter, GrIngo Lahr und Roland Adelmann. Dazu Gedichte & Stories von u.a. Harald Kappel, Clemens Schittko und Lütfiye Güzel. Die 10. Ausgabe (erscheint ca. 2024) wird als NACH-"SCHLAG" weitere Spezialbeiträge und Gedichte rund um die SOCIAL BEAT BEWEGUNG enthalten!

 

MEHR von Marvin Chlada: Poesiesalon (Texte) & Poesiepandemie (live am 12.5.2023)

 

Marvin Chlada, 2022

30 Jahre Downtown Deutschland

Notiz zum Jubiläum

Die 1992 im Essener Isabel-Rox-Verlag erschienene Underground-Anthologie "Downtown Deutschland" steht am Anfang dessen, was in den darauffolgenden Jahren als Social- Beat-Bewegung von sich Reden machen sollte. Der zwei Jahre darauf erschienene Nachfolgeband "Asphalt Beat" ist entsprechend mit "Social-Beat-Anthologie" untertitelt.

 

Wie ich auf die beiden Bände aufmerksam wurde, weiß ich nicht mehr. Aber ich erinnere mich, dass ich sie mir beide zusammen Ende 1994, nachdem es mich von Esslingen nach Duisburg verschlagen hatte, besorgt hatte. Von da an verfolgte ich die Szene, mitunter pilgerte ich bis nach Bochum, um an die Fanzines und sonstigen Druckerzeugnisse zu gelangen. Der Rest lief weitgehend via Post über die damals gängigen Underground-Kanäle und Connections.

 

Obwohl ich selbst seit den späten 1980ern damit begann, Texte im Selbstverlag und in Underground-Gazetten zu publizieren, hatte ich nie das Bedürfnis, Teil der Social-Beat-Bewegung oder sonst einer (außer)literarischen Strömung zu sein oder zu werden. Dass es ab und an Überschneidungen und hin und wieder gemeinsame Projekte gab, ist da kein Widerspruch. Zwar gab es im Social Beat – zumindest programmatisch – Bezüge zur Beat Generation. Das meiste davon jedoch, so schien's mir, kam über Bukowski nicht hinaus. Kein Missverständnis: Nichts gegen Bukowski – im Gegenteil. Das freilich war mir zu wenig. Das konnte auf Dauer nicht gutgehen. Und ich hatte mich nicht getäuscht. Schnell verkam Social Beat zu dem, was Thomas Collmer eine "an Bukowski orientierte Pseudo-Undergroundszene" genannt hat. Dass Social Beat bis Ende der 1990er Jahre klammheimlich im Schatten von Slam Poetry bzw. Poetry Slam verschwand, war da nur konsequent.

 

Aber zurück zu "Downtown Deutschland". Was die Sammlung für mich interessant gemacht hat, war weniger die programmatische Ausrichtung. Wo konkret "Downtown" hierzulande zu verorten sei, hat sich mir bis heute nicht erschlossen. Wichtiger war mir der frische und schonungslose Geist, den die Sammlung vermittelte. Da waren junge Autoren und alte Hasen des Undergrounds gleichermaßen vertreten, was sich keinesfalls von selbst versteht. Hier ging's nicht – so meine Wahrnehmung – um Generationen und Konflikte, sondern tatsächlich und vorrangig um die Sache: eine andere Literatur.

 

Als ich im Juli letzten Jahres Tom de Toys auf der Rheinuferpromenade in Düsseldorf traf, unterhielten wir uns lange über Social Beat und die Bedeutung von "Downtown Deutschland". Eines seiner Bücher, das er mir bei diesem Treffen überreichte, trägt den Titel "Ist das Social Beat oder kann das weg? Lyrik der legendären 1990er". Darin dokumentiert findet sich u.a. eine Presseerklärung aus dem Jahre 1995, in der De Toys mitunter Sektiererei und die Tendenz zur "Pimmelprosa" anprangerte. Ohne Social Beat, so viel war klar, wären die 90er noch langweiliger gewesen als sie ohnehin gewesen sind. Allerdings: Bei all den Anekdoten und Geschichten über Gott, die Welt und Social Beat hatten wir eine Sache ganz vergessen, obwohl viel davon die Rede war: nämlich das Trinken. Lediglich zwei Biere, stellten wir am Ende verdutzt fest. Der Flusskrebs, der sich nach dem Hochwasser auf der Promenade tummelte, kann's bezeugen.

 

PS. Über mein Verhältnis zu Social Beat und Slam Poetry habe ich mich u.a. bereits im Vorwort zu "Die schöne Verwirrung des Lebens" (Situationspresse 2013), im Artikel "Mein Bukowski" (DreckSack, Heft 3/Juli 2020) und in dem Gedichtband "Glam Rock, Bier und Schmuddelfilme" (2020) ausgelassen. Und immer gab's Ärger. Ich hoffe, diesmal nicht – oder falls doch: nur ein wenig.