BEILEIDSBEKUNDUNG UNTER DEM HASHTAG:

# L Y R I K T R A U E R T

>>Manchmal möchte ich mein Leben mit diesem Satz beenden: Schreibt euch eure Gedichte selber!<< Ludwig Fels 1946-2021, BEGRÜNDUNGSSCHRIFT, in: Vom Gesang der Bäuche, 1980

>>GERETTET WERDEN AUTOS, FLUGZEUGE, BANKEN UND DIE DIÄTEN VON POLITIKERN SELBER KLAMMHEIMLICH ERHÖHT, ABER DIE KÖNIGSDISZIPLIN DER LITERATUR ERHÄLT KEINE KULTURSOFORTHILFE? NEIN, DER SKANDAL GEHT LEIDER SCHON AUF DIE ZEIT VOR CORONA ZURÜCK UND GIPFELT NUN IM DESASTER. UND DAS, OBWOHL IN HAMBURG DOCH "JEDER" ANSTÄNDIGE BÜRGER ANGEBLICH GERETTET WIRD, WENN ER DEN RICHTIGEN FINANZEXPERTEN PERSÖNLICH KENNT.<< Zitat Lyrikfestival de, 1.12.2020


Tom de Toys, 1.12.2020 © POEMiE @ www.Offszene.de

SUBKULTUR ALS SOFAKULT

(DIE KÖNIGSDISZIPLIN DER LITERATUR IST SEELISCH RELEVANT)

 

Düsseldorf / In meiner Freizeit mache ich als ehrenamtlicher Betreiber des POESIESALON.DE immer wieder Werbung für das wichtigste deutsche Lyrikportal FIXPOETRY.COM, auf dem sich seit seiner Gründung 2007 über tausend Dichter:innen und viertausend Tagestexte angesammelt haben. Am 31.11.2020 schockierte die Betreiberin Julietta Fix die Lyrikszene mit ihrer Nachricht, dass sie den Betrieb zum 31.12.2020 aufgrund "mangelnder Finanzierung" einstellt. Die solidarischen Beileidsbekundungen vieler Autoren auf Facebook verraten, wie ohnmächtig, naiv und politisch unorganisiert die gesamte Lyrikszene im Grunde ist. All die selbsternannten sogenannten "Berufslyriker", die in Wahrheit zum Beispiel als Buchhändler arbeiten, um finanziell zu überleben, PROFITIEREN nur einseitig von Fixpoetry, indem ihr narzißtisches Ego (ach, 'tschuldigung, natürlich ihr "lyrisches Ich") mit einer derartigen Online-Präsenz sein Prestige aufpoliert. Dieses arrogante Abwägen, wo man in guter und im doppelten Sinne "günstiger" Gesellschaft sei, entspricht aber nicht Juliettas Anspruch, deren Anliegen es immer schon war, keine bestimmten Mikroszenenklüngel zu bevorzugen, sondern dem ganzen lebendigen Spektrum zeitgenössischer Dichtung von der Gemüsedichtung bis zur Gesellschaftskritik eine Plattform zu bieten. Ich selber wäre wohl kaum sonst als Autor von ihr so freundlich aufgenommen worden, kann ich doch weder Stipendien, Rezensionen noch Preise oder Beiträge in elitären Möchtegern-Standardanthologien des angeblichen "Kanons" zeitgenössischer Lyrik als Referenz vorweisen, die meine Art zu Dichten als "seriös" auszeichnen - oder sollte ich sagen: "absegnen" ? Mit dem Untergang dieser Internet-Plattform verschwindet nicht nur eine unersetzbare Bibliothek deutschsprachiger Gegenwartslyrik, sondern der Mangel an NACHHALTIGER alternativer Literaturförderung vonseiten der Kulturpolitik wird umso drastischer deutlich! Seit 2014 versuche ich völlig vergeblich, Kollegen aus Kunst und Literatur das Konzept eines SUBKULTURMINISTERIUMS schmackhaft zu machen, aber bislang führten all meine Bemühungen nur zu schmunzelndem Achselzucken. Dann kam der Coronalockdown und alle verfielen in panischen Aktionismus, um sich in virtuellen Kulturangeboten zu verausgaben, in der absurden Hoffnung, ein digitales Live-Streaming als Schadensersatz für abgesagte Analogveranstaltungen könne die finanzielle Einbuße ausgleichen, weil es zum Beispiel der PROMOTION VON POETEN diene und dadurch ihren Buchverkauf ankurbeln könne. Beinahe schon niedlich fand ich so manchen Post in Privatprofilen auf Facebook mit Fotos von frisch gedruckten Gedichtbänden, die man doch bitteschön WEGEN ODER TROTZ Corona zur Unterstützung des Kleinstverlegers erwerben möge (es bedarf ja bei moralischen Argumenten keines Interesses am Inhalt, sprich: KAUFEN ja, LESEN nicht nötig), zu sehen ausschließlich für alle anderen Mitglieder der Sekte namens "Lyrikbetrieb", aber von keiner klientenspezifischen Zielgruppe außerhalb der virtuellen Tempelanlage. Die Anhänger von Literatur waren schon immer ihr eigenes Publikum. Wenn alle Autoren nach einem Lyrikkongress nochmal euphorisch auf die Bühne gebeten werden, sitzt niemand mehr sonst noch im Saal, um zu applaudieren - ein solches Spektakel nennt sich dann selbstverständlich "systemrelevant" ! Aber nach monatelangem fast manisch-hyperaktivem Livestreamingliteraturhochleistungssport wachte der Kulturbetrieb plötzlich auf und erkannte, dass so geniale, originelle und einmalige Online-Events mit Staraufgebot und tausenden Likes und Klicks die Mietkosten nicht decken, sondern nur der Seelsorge vereinsamter, verwöhnter Bürger dienen, die dank Corona jetzt endlich zuhause bleiben können, weil ihnen die Kultur kostenlos auf ihr Endgerät übertragen wird! Für diese Sofakultur wird viel Geld in Chips und Bier investiert, das man normalerweise als Eintrittsgeld ausgeben müsste. Und die Künstler sollen so dankbar sein wie die Krankenpfleger: zwei Branchen bekommen nostalgisch tosenden Balkonapplaus auf der sinkenden Titanic, standing ovations in katastrophaler Schieflage des ganzen maroden Systems! Und inmitten dieses schleichenden Untergangs rutscht völlig unbemerkt vom Kapitän auch noch FIXPOETRY über Bord, was mithilfe des Subkulturministeriums schon bei den ersten Krankheitssymptomen verhindert worden wäre anstatt ohne Kompass auf die Krise hinzusteuern. Was die Regierung nun übereilt als "Soforthilfe Kultur für Soloselbständige" aus der Trickkiste hervorzaubert, dient nur als kurzfristige Überbrückungshilfe mit Blick auf den nebulösen Hafen am Horizont, aber ein zerbombtes Schiff kommt dort nicht an, auch wenn die goldenen Klinken nochmal beim (Achtung, EIN REIM:) Sinken geputzt werden. Bei der Hamburger Filiale des Subkulturministeriums hätte Julietta Fix stattdessen über ihr Online-Profil auf der Veranstalterseite des Ministeriums einen formlosen Antrag auf die Pauschale von 2000€ gestellt, die SOFORT überwiesen und erst danach mit den realen Ausgaben verrechnet würde. Beim traditionellen Kulturamt oder Minsterium für Diesundjenes (für willkürlich kombinierte Bereiche je nach Regierungspartei) hätte sie lediglich mit langem Vorlauf Anträge für das Folgejahr stellen können, noch dazu ohne Garantie der Bewilligung. Aber jetzt, dank des Subkulturministeriums, plant jemand wie sie ein besonderes unkonventionelles Kulturereignis direkt für die kommenden nächsten Wochen, und kann dadurch mit der 2000€-Pauschale sowohl die klassische Miete für die Wohnung zahlen, wenn sie ein Zimmer darin offiziell als Studio verwendet, als auch die gewerkschaftlich empfohlenen Honorare für 2 Lyrikperformer und den Videokünstler, mit denen sie Poetryclips für ihre Kanäle im Internet produziert. Dieses Beispiel soll zeigen, wie das Subkulturministerium KURZFRISTIGKEIT mit NACHHALTIGKEIT verbindet: wer etwas anbietet, kann jederzeit Geld abrufen! Wer nichts anbietet, kann auch keine Soforthilfe erwarten. Der Steuerzahler finanziert das Subkulturministerium durch eine freiwillige Kultursteuer, für die er im Gegenzug einen KULTURPASS erhält, mit dem er an solchen kulturellen Ereignissen vergünstigt oder umsonst teilhaben kann, die den Stempel "SUBKULTURSOFORTHILFE" tragen. Man sieht: die aktuell erkämpften Lösungen für die Pandemiekrise sind mittlerweile schon gar nicht mehr so weit von der Vision des Subkulturministeriums entfernt, mit einem kleinen, aber entscheidenden Unterschied: der Regierung geht es nicht ernsthaft um eine Rettung und Ankurbelung der Kreativwirtschaft an sich, sondern um Wählerstimmen für ihren nächsten Bundeskanzler. Aber ich sehe in keinem der bisherigen Kandidaten einen wahrhaftigen KULTURKANZLER, sondern nur Lobby-süchtige Karnevalisten, die als einzige Berufsgruppe NICHT systemrelevant sind, sondern mit einer gehörigen Portion Vertrauensvorschuss vom gesamten ARBEITENDEN System gesponsert werden. Wer dieses Vertrauen beim Volk wieder verspielt, hat in diesen "wütenden" Zeiten allen Grund, sein Geld in private Sicherheitskräfte statt Koks und Kaviar anzulegen, und kann dann nur hoffen, dass diese auch trotz der schlechten Bezahlung im Notfall loyal bleiben. Denn letztlich lauert das Volk ÜBERALL, wenn Strukturdiktatoren zu weit gehen, und holt sich die vergoldeten Türgriffe direktdemokratisch zurück...

 

 

Fixpoetry - PRESSEMELDUNG

 30.11.2020 von Julietta Fix

 

"Liebe LeserInnen, MitarbeiterInnen, AutorInnen und FreundInnen, 2007 habe ich Fixpoetry gegründet und mich auf den Weg gemacht, Lyrik online zu bringen. Über 4000 Texte des Tages, Tausende von Beiträgen rund um das literarische Leben im deutschsprachigen Raum, Rezensionen und Interpretionen und mehr als 1000 KünstlerInnen  haben sich mittlerweile im Netzwerk Fixpoetry versammelt. In 13 Jahren kann ein Mensch 13-mal zu Fuß um die Welt gehen - eine lange Reise. Eine lange, schöne und sicher auch beschwerliche Reise, auch für Fixpoetry. Eine Reise, die ich nie allein gegangen bin und auf der ich viele großartige Wegbestreiter treffen durfte. Eine Reise, die jetzt bald zu Ende geht. Zum 31.12. stelle ich den Betrieb von Fixpoetry auf Grund mangelnder Finanzierung ein und möchte mich hiermit bei allen bedanken, die den Weg mit mir gegangen sind. Wir sind gemeinsam weit gekommen. Die Webseite wird als Archiv zunächst im Netz bleiben. Bleibt gesund und auf zur nächsten Reise! Eure Julietta Fix"