-> FORTSETZUNGSESSAY "PARALLELEN ZWISCHEN EHRENKÜNSTLERN & EHRENPFLEGAS ALS POPKULTUR"
Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG behauptet am 4.9.2020, daß der APPELL FÜR FREIE DEBATTENRÄUME "Toleranz auch für die Intoleranten" einfordere und teilt die Gesellschaft in rechtskonservative und liberale Lager. Tom de Toys, der Betreiber des POESIESALON.DE ist ein Gegner von ideologischen Pauschalisierungen und unterstützt daher KEINE MENSCHENVERACHTENDEN PAROLEN. Seine Unterstützung des Appells als Mitunterzeichner gilt nur insofern sich nicht zeigt, daß sich die Initiatoren damit als Freunde rechts- oder linksextremistischer Gesinnung erweisen würden. Sein Essay "URVERTRAUEN & VERTRAUENSVERLUST" erläutert seine Position.
"Der demokratische Prozess sei bedroht, heißt es da, es sei Zeit, 'das freie Denken aus dem Würgegriff' zu befreien. Die alarmistische Theatralik ist auch deshalb bemerkenswert, weil der offene Brief, der an niemanden im Speziellen gerichtet ist, im weiteren Verlauf nichts einfordert, das es nicht schon gäbe. Und weil es natürlich zur Freiheit der Veranstalter und Buchhändler gehört, ihre Programme und Sortimente so zu gestalten, wie es ihnen beliebt. (...) Initiiert wurde der Appell von dem Schriftsteller und Youtuber Gunnar Kaiser und dem Schweizer Journalisten Milosz Matuschek, nach dem Vorbild des 'Letter on Justice and Open Debate' in der Zeitschrift Harper's Magazine, in dem vor Kurzem in den USA prominente Intellektuelle wie Anne Applebaum, Margaret Atwood und John Banville einen freien Gedankenaustausch angemahnt hatten. Die Urheber der deutschen Variante sind allerdings (ANGEBLICH) bekannte Köpfe der rechtskonservativen Infosphäre, zu deren Beruf es gehört, hinter jeder Ecke politische Korrektheit und Moralterror zu vermuten und sich umstellt zu fühlen von linksradikaler Gesinnungsinquisition. (...) Im US-Brief ist die Rede von 'Demagogen aus dem rechten Lage', denen man selbst, so die Warnung, in punkto Intoleranz nicht nacheifern solle. Der Brief warnt vor 'ideologischer Konformität' und wirbt für offene Debatten, aber, und das ist der wesentliche Unterschied, positioniert die 'illiberalen Kräfte' außerhalb des demokratischen Diskursraumes. Der Brief ist eine Selbstkritik der liberalen Öffentlichkeit. Der deutsche 'Appell' hingegen verzerrt eine lebendige Öffentlichkeit, die sich gegen illiberale, antisemitische oder auch nur irreführende Positionen verwahrt, als Krisensymptom und verlangt Toleranz auch für die Intoleranten. In einem Video zu dem Appell spricht der Initiator Gunnar Kaiser nicht von einem Erhalt, sondern von einer erhofften 'Öffnung' der Diskursräume. (...) Dass sich trotzdem nun auch Liberale und Linke, denen redlich an der Meinungsfreiheit gelegen ist, für die Belange der Rechten einsetzen, ist für die Initiatoren ein schöner Diskurserfolg."
Philipp Bovermann und Felix Stephan: Toleranz für die Intoleranz?, SZ, 4.9.2020
AUS DEM POESIESALON-ESSAY: "Der Punkt, den ich beim Moralmob der Cancel Culture vermute: die Menschen erleben mangels innerem Urvertrauen einen brutalen Vertrauensverlust in
ihre eigene tiefere Fähigkeit zum Anhören anderer Meinungen, die von ihrer eigenen abweichen! Eine Gesprächstherapie könnte in FREIEN DEBATTENRÄUMEN in Gang gesetzt werden, wo die Rituale des
Zuhörens, Ausredenlassens, Sicherklärendürfens und Mitneugierbefragtwerdens geübt werden. In dieser urdemokratischen Vision sitzen die Menschen aller Richtungen und Gesinnungen nebeneinander und
debattieren wie die Politiker im Bundestag mit der radikalen Höflichkeit, die sie selbst von ihrem Nachbarn erwarten: Redezeit ist Redezeit, auch wenn der Vortrag dem Anderen als totaler
Schwachsinn erscheint. Das Entscheidende ist die Fähigkeit des geduldigen Gegenfragens! Die Fähigkeit, WARUM zu fragen, anstatt gleich drauf zu hauen oder los zu schießen, ist uns verloren
gegangen. Das zwischenmenschliche Klima der Streitkultur ist so vergiftet wie der Streit ums Weltklima. Wir ertragen gar keinen Streit mehr, weil wir es satt haben, daß unsere Meinung auch nicht
toleriert wird." (Tom de Toys, Poesiesalon.de-Betreiber am 2.9.2020, in: URVERTRAUEN & VERTRAUENSVERLUST)
Als neuroatheistischer Freigeist und Mehr-als-quer-Denker unterstütze ich mit meiner Unterzeichnung gerne den "APPELL FÜR FREIE DEBATTENRÄUME" von Milosz Matuschek vom "Intellectual Deep Web Europe"; denn ich habe nun drei langweilige Jahrzehnte miterlebt, in denen jeder nur seine eigenen Schäfchen ins Trockene bringen wollte, aber heute fliegt sogar dem Hüter der größten Herde das Dach vom Stall: es regnet und schneit überall in die Seelen und erzeugt Angst und Kälte bei jenen, die das wilde Feuer des Lebens nicht in sich spüren, sondern wie ferngesteuerte Roboter vom Strom der Meinungsmache abhängig geworden sind. Wie konnte das bloß passieren? Als ich ein Teenager war, spielten wir jeden Tag bei Wind und Wetter draußen in der Natur, durften abends ein bißchen Fernsehen schauen und hatten ansonsten unsere Hobbys, wie z.B. das Erlernen eines Musikinstrumentes, das Training in einem Sportverein, das Lesen von echten Büchern (z.B. "Brave New World" von Aldous Huxley), das Malen und Dichten und das Abtanzen im Jugendclub, später dann in Diskotheken. Will sagen: ein pralles Leben ohne virtuelle Fakenews, 100% handyfrei, ohne Internet, ohne massenmediale Echtzeitüberforderung, die wie ein virtuelles Krebsgeschwür die eigene langsame Wahrnehmung zersetzt, mit der wir fasziniert die laut schnatternd vorbeifliegende Gänseschar oder sehnsuchtsvoll die Blütenblätter der Gänseblümchen zählen: sie liebt mich, sie liebt mich nicht... Überschattet wurde diese letzte analoge Ära von der Tschernobyl-Katastrophe, vom sauren Regen und der permanenten Angst vor einem Atomkrieg. Ich hasste als Jugendlicher die Politik, die schon damals die Umweltzerstörung nicht aufhielt, den Klimawandel leugnete und in schwarzen Limousinen Buffethopping betrieb. Als junger Erwachsener hatte ich dann das Gefühl, daß wir bereits mitten im 3.Weltkrieg leben in Form einer weltweiten subtilen "strukturellen Diktatur" der Markenprodukte und Mehrwertsteuerung durch Lobbyismus: als richtig und gut galt nur das, was uns durch Werbung als unverzichtbare Realität schmackhaft gemacht wurde, der Kapitalismus begann, sich religiös zu überhöhen. Ich kaufte mir gar nicht erst einen Fernseher und habe bis heute noch nie einen besessen. Aber die Dauerberieselung kam dann nur ein Jahrzehnt später in Form von Handys und Internet zurück: auch ich wurde ein Opfer der ersten digitalen Generation! Doch mein seelisches Fundament war mittlerweile in einem URVERTRAUEN IN DAS LEBEN SELBST verankert, so daß ich von Anfang an total immun war gegen Ideologien jeder Richtung – weder rechte, linke, esoterische, materialistische, reduktionistische, religiöse noch wissenschaftliche Glaubenssysteme waren imstande, mein Urvertrauen zu beeinflussen: es ist "unconditioned", wie die amerikanischen Spirituellen es nennen. Ich selbst nenne es "GRUNDLOSE INWESENHEIT" und habe dafür meine eigenbrödlerische Anti-Ideologie entwickelt, den Neuroatheismus. Von diesem Null-Standpunkt aus ist man automatisch in alle Richtungen offen, das Denken wird frei und unendlich, kennt keine Grenzen und keine Tabus – außer eines: die Tabuisierung höchstselbst! Etwas zu leugnen, zu unterschlagen, zu ignorieren, zu verdrängen, zu verdrehen und zurecht zu biegen, bis es meinem persönlichen Geschmack entspricht, liegt mir fern. Ganz im Gegenteil empfinde ich es als bereichernd und belebend, NEUGIERIG & OFFEN zu sein für die abstrusesten Argumente, wenn sie nicht vorsätzlich bösartig, destruktiv, menschenverachtend und selbst schon in sich durch einen tabuisierenden Tunnelblick entstehen. Um aber entscheiden zu können, ob eine Meinung nur unbequem oder schon bösartig ist, muss ich sie erstmal genau überprüfen anstatt sie selber zu ignorieren. Ansonsten sabotiere ich meine eigene Tabulosigkeit durch einen neuen Tunnelblick. Was wirklich "bösartig" ist oder blanke Lüge, Betrug und Heuchlerei oder konformistisch, lobbyistisch, eigennützig, gierig, geldgeil, machtgeil, unmoralisch oder moralbesessen, abgrundtief fanatisch oder fakenews-gläubig, fakenews-erschaffend, fakenews-durch-andere-fakenews-austauschend oder oder oder kann ich als Ideologieloser an keiner Ideologie festmachen, ich schwimme da leider hilflos im Bodenlosen! Und genau das ist der Punkt, den ich beim Moralmob der Cancel Culture vermute: die Menschen erleben mangels innerem Urvertrauen einen brutalen Vertrauensverlust in ihre eigene tiefere Fähigkeit zum Anhören anderer Meinungen, die von ihrer eigenen abweichen! Sie klammern sich so sehr an ihre eigene in Auflösung befindliche Ideologie, der sie darum auch nicht mehr vertrauen können, da sie durch scheinbar glaubwürdige Gegenargumente so sehr ins Wanken gerät, daß sie schwindelig werden vor lauter über ihnen herein prasselnden Alternativ-News! Der seelische Kollaps droht daher in allen Lagern: bei Linken, Rechten, Systemtreuen, Systemgegnern, Staatstreuen und Staatsfeinden! Wir haben uns sozusagen kollektiv überfordert mit unserem mangelnden Urvertrauen und fühlen uns nun dieser digitalen Flut an Informationen existenziell ausgeliefert und als Individuum mißachtet, ungeliebt, respektlos übergangen. Das ist nicht mehr bloß als Vertrauensverlust in unsere politischen und wissenschaftlichen Vertreter zu erklären. Das ist ein tiefenphilosophischer Mangel an Urvertrauen in den Sinn und die Schönheit des Lebens an sich! Auf gut Deutsch: wir haben uns alle zu lange gegenseitig verarscht und zahlen es uns jetzt blindwütig heim wie verletzte, beleidigte, im Stich gelassene Kinder! Wir brauchen dringend eine kollektive Therapie, um das VERTRAUEN INEINANDER wieder herzustellen, das überhaupt erst ermöglicht, ganz offen und neugierig in alle Richtungen zu denken, zu fühlen, zu kritisieren, zu tolerieren! Eine solche gemeinsame Gesprächstherapie könnte möglicherweise in FREIEN DEBATTENRÄUMEN in Gang gesetzt werden, wo die Rituale des Zuhörens, Ausredenlassens, Sicherklärendürfens und Mitneugierbefragtwerdens geübt werden. In dieser urdemokratischen Vision sitzen die Menschen aller Richtungen und Gesinnungen nebeneinander und debattieren wie die Politiker im Bundestag mit der radikalen Höflichkeit, die sie selbst von ihrem Nachbarn erwarten: Redezeit ist Redezeit, auch wenn der Vortrag dem Anderen als totaler Schwachsinn erscheint. Das Entscheidende ist die Fähigkeit des geduldigen Gegenfragens! In einer hitzigen Debatte aus bösartigen vorschnellen Angriffen kann kein Vertrauen entstehen. Nur das entschleunigte Durchatmen und Runterkommen erlaubt eine COOL DOWN CULTURE Mentalität des Verstehenwollens, warum der Andere so schrecklich anders ist als meine Weltsicht. Die Fähigkeit, "WARUM" zu fragen, anstatt gleich drauf zu hauen oder los zu schießen, ist uns verloren gegangen. In den Kommentarfeldern aller social media Beiträge finden sich nur viel zu selten leise geduldige Warumfragen, jeder posaunt nur seine Meinung gegen andere und irgendwer fühlt sich immer angegriffen, um diese DESTRUKTIVEN SCHEINDEBATTEN anzufeuern. Das zwischenmenschliche Klima der Streitkultur ist so vergiftet wie der Streit ums Weltklima. Wir ertragen gar keinen Streit mehr, weil wir es satt haben, daß unsere Meinung auch nicht toleriert wird. Eine Beleidigung führt zur nächsten und schon will wieder eine Weltmacht Sanktionen gegen eine andere verhängen. Jeder Privatmensch ist genau so wie ein Präsident gefordert, diplomatisch nett zu kommunizieren, wenn er ebenso freundlich behandelt werden möchte. Wenn die Menschheit wirklich einen tieferen Weltfrieden als nur faule egozentrische Kompromisse ersehnt, dann muß sie auch den inneren Frieden in der Seele jedes Einzelnen jenseits seines gekränkten, empfindlichen Egos fördern. Demütige GERECHTIGKEIT und dankbare GEDULD erscheinen mir darum als die beiden schwierigsten und doch auch wichtigsten Eigenschaften zu sein, an denen wir uns gegenseitig messen können, um unser Vertrauen ineinander zu fördern und das Urvertrauen wieder zu spüren, das uns verbinden kann: in das Wunder des Lebens auf diesem Planet!
ORIGINALQUELLE der
Erstveröffentlichung bei der LDL
Aktuellste Publikation des Autors: "DAS TABU DER PSYCHIATRIE"