2022 erschien bereits die 9. Ausgabe des Magazins "MAULhURE" als SPEZIALNUMMER zum 30jährigen Jubiläum der legendären
Social-Beat-Anthologie >Downtown Deutschland< - mit Beiträgen von u.a. Boris Kerenski, Marvin Chlada, Kersten Flenter, GrIngo Lahr und Roland Adelmann.
Dazu Gedichte & Stories von u.a. Harald Kappel, Clemens Schittko und
Lütfiye Güzel. Als NACH-"SCHLAG" wird die ca. 2024 erscheinende 10. Ausgabe weitere Spezialbeiträge
und Gedichte rund um die SOCIAL BEAT BEWEGUNG enthalten, darunter auch folgende Chronik von Tom de Toys:
>>Tom Toys, der Krisendichter aus Köln, geht ruhelos auf und ab, spricht kaum zum Publikum, seine "panische Betroffenheit" spricht für sich.<<
Neues Deutschland: "DEN BEAT FINDEN, DEN BEAT
ZERSCHLAGEN" (10.8.1993)
>>Das Düsseldorfer Dichtermonster – meist steigert er sich in einen rauschhaften Zustand: Der Bewußtseinspionier möchte mit seiner Kunst jede Art von Religion
überwinden.<<
F.A.Z.-Autorenportrait: "OFF-LYRIK-PERFORMANCE IM CLUB
VOLTAIRE" (9.9.1997)
>>Autoren wie (...) Tom de Toys u.v.m. haben mit ihren Texten, Kleinstpublikationen und Veranstaltungsreihen der literarischen Szenerie ihren Stempel aufgedrückt.<<
Dr. Enno Stahl, Heinrich-Heine-Institut: "POP AM RHEIN"
(2007)
>>ein slam ist politisch und kein popevent weder comedyprosa noch konsenslyrik wer hier kein problem beim namen nennt (mit freiem vers oder billigreim) hat die chance verpennt lügen
aufzuklären die devise muß lauten verbrecher zu outen quer durch die bank bis zur höchsten etage die gesellschaft ist krank ich red mich in rage<<
De Toys, 12.5.2004 in: "ÜBERSPRUNG (ZUR RE:POLiTiSiERUNG DES
POETRY-SLAMS)"
Socialbeat? Das war als vermeintliche Gegenliteratur sozusagen die antipoetische Alternative zur elitären Suhrkrampfliteratur, Schnösel- und Fastfoodliteratur, Comedy- statt echter Clubliteratur oder Popper- statt wahrer Popliteratur und alles andere als Parfumpoesie und Gemüselyrik!
Die Seele des Socialbeats ist eigentlich nie gestorben, nur die Protagonisten sind älter geworden, tot oder zu demotiviert; denn der Literaturbetrieb wird im Digitalzeitalter genauso vom Spieß- und Spaßbürger als Hauptzielgruppe dominiert wie es schon damals geschah: durch Massenkompatibilität als Überlebenstechnik von ignoranten Großverlagen, die sogar Ideen, Begriffe und Themen von der Subkultur klauen, sie mit seichterem Entertainmentfaktor aufbereiten und sogar die Dreistigkeit besitzen, im Marketing zu behaupten, sie wären nun die Erfinder und hätten die Originalautoren im Programm! Es ist eine widerliche Schmierenkomödie auf Kosten von ernsthaft suchenden Lesern, die heutzutage dank Internet recherchieren könnten, wer wann warum das subversive Element aus den Stilen neutralisiert und an welchen Projekten die wahren Vertreter avantgardistischer, experimenteller, unbestechlicher Undergroundliteratur arbeiten. Aber ich vermute schon seitdem die Welt googelt, daß die Masse nur das recherchiert, was ihnen fertig serviert wurde. Die Werbetaktik gleicht einer simplen Massenhypnose und funktioniert quasi genau umgekehrt zu der Art, wie ich selber die virtuellen Datenarchive benutze: ich googel so ziemlich alle denkbaren Assoziationen rund um einen Begriff, einen Titel, ein Thema ANSTATT das vorgekaute Wort. Manchmal genügt 1 einziger Buchstabe Unterschied, um die Wahrheit ans Licht zu bringen, manchmal muss man aber auch von Hölzchen auf Stöckchen kommen, bis sich der reißende Schlund aus historischen und theoretischen Konnotationen auftut und die Ahnung erzeugt, in welch gigantischer Fakeblase wir ständig zum Kauf falscher Fuffziger mit falschen Fuffzigern überredet werden.
Aber die ganze Show MUST NOT GO ON, if you stop und dich entscheidest, etwas gründlicher im Dreck zu bohren! Ich hoffe, ich erlebe noch eine neue subversive Generation von Literaturgeschichtswissenschaftlern, die nicht glaubt, was sie von Bestsellern und Nobelpreisträgern widerkäuen soll, sondern selber auf die Suche nach geistiger Nahrung geht und darin trainiert wird, Gift von Genialität zu unterscheiden. Antonin Artaud lässt grüßen, Hans Arp winkt zurück und Alan Watts amüsiert sich köstlich auf erleuchtetem Niveau. Forschende Germanisten, die nach der Wahrheit HINTER DER KULISSE suchen, sind eine aussterbende Art und was bleibt, sind die aalglatten Gern-Man-Ist-Wer-Leute, während Tucholskys Lochleute in unauffällige Verstecke des Alltags abgetaucht sind. Dort wird die nächste literarische Bombe gebastelt, die nächste antipoetische Revolution geplant! Und sie passiert irgendwann, ich schwöre, denn SO GEHT ES NICHT WEITER, weder mit dem Klima noch mit dem Neurosmog der trivialen Topseller, die das eigene Denken verhindern: "Sleep! Obey! Don't think!" (in Carpenters Scifi-Klassiker "SIE LEBEN"). Mit ü50 nehme ich mir die Freiheit, kein Blatt mehr vor den Mund zu nehmen; denn ich habe eh nix zu verlieren, der Zug ist abgefahren, ich bin nur ein Dorfbewohner, der sich die Ohren zuhält, wenn der ICE vorbeirauscht, und der froh ist, den Unterschied zwischen konditioniertem STILLSTAND im Highspeedmodus und der inneren STILLE zu kennen, aus der immer wieder völlig unerwartete Literatur entsteht.
Diese Welt ist von Surrogates in ihrer Matrix verseucht, ich bin in DüsseldOOf von Kö-Zombies umgeben und könnte den ganzen Tag kotzen und schreien, aber was tue ich? SCHREIBEN!!!! Genau das ist es, was wir als Twens in den 90ern auch schon taten: wir schrieben uns die Seele aus dem Leib, um nicht am Wahnsinn dieser Welt zu verzweifeln. UND wir schrieen uns sogar die Kehle aus der Seele, brüllten, sangen, zelebrierten unsere Gedichte. Wir performten Literatur, weil wir es endgültig satt hatten, selber bei Wasserglaslesungen einzuschlafen, die den Ruf von Lesungen als interessantes Kulturereignis zerstörten. Poetryslams haben dieses Bedürfnis nach wachrüttelnder, aufregender Rezitation dann nochmal auf die Spitze getrieben, aber leider auch ins Absurde pervertiert; denn wo keine subversive Provokation mehr lauert, gibt es auch keinen Grund zu brüllen. Wer ohne relevanten Inhalt trotzdem expressiv dramatisch aufgeregt und bedeutungsschwanger performt, kreiert nur peinlichen pubertären Kitsch. Ich habe viele gute Autoren im Publikum von Slams erlebt, die mir zuflüsterten: "Ich hatte eigentlich überlegt, hier selber mitzumachen, aber die angetrunkenen Zuhörer legen anscheinend keinen Wert auf komplexe Literatur, sondern wollen nur billig unter der Gürtellinie unterhalten werden: gewinnen tut der mit den meisten Lachern!" Diese Autoren hätte ich gerne gehört, aber sie verschwanden, bevor das Publikum von ihrer Existenz erfuhr! In 30 Jahren erlebt man eine Menge schockierender Randszenen im Liveliteraturbetrieb, die seitenweise Anekdotenstoff liefern könnten. Aber ich bin nicht als Erzähler bekannt, sondern mochte immerschon Gedichte lieber als Geschichten.
Umso begeisterter war ich im Jahre 1993, daß die verschworene Bukowskibande junger Socialbeatler mich schon kurz nach der legendären 12. Mainzer Minipressenmesse über den Lyrikkollegen GrIngo Lahr fragen ließ, ob ich auf dem 1. Festival auftreten wolle. Daß ich dann namentlich auf dem Plakat auftauchte und dadurch der Eindruck erweckt wurde, ich sei ein Hauptprotagonist dieser Mikroszene, hatte einen merkwürdigen Beigeschmack, den ich später durch Distanzierungspressemitteilungen und Erfindung der Gattung "Offlyrik" für eine eigene Festivalreihe loswerden wollte. Denn wer will schon mit fremdem Mundgeruch leben! Aber alles der Reihe nach: Mein persönlicher Socialbeat begann in der Rolle des Lyrikperformers "Tom Toys" (bis 1996 ohne "de") als öffentliche Figur genau genommen im Sommer 1990, als ich 600 Exemplare meines ersten Manifestes "KÄMPFE KÜNSTLER (FÜR SICH STATT GEGEN ANDERE)" mit den Zeilen >>FREIE MENSCHEN VERNETZT EUCH UM DAS LEBEN ZU POETISIEREN!<< an alle Kölner Künstler verschickte, die ein spezielles Stadtlexikon mitsamt Atelieranschrift erwähnte, und hunderte Kopien am Eingang der Kunstmesse "ARTcologne" an die hereinströmenden Besucher verteilte, wodurch ich den Herausgeber der Zeitschrift "ARTischocke" kennenlernte. Er druckte nicht nur das Manifest in der nächsten Ausgabe, sondern empfahl mir auch die Mainzer Minipressenmesse als einen Ort der Begegnung von bibliophilen Gleichgesinnten.
Mit meinen zarten 22 Jahren war ich nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in der Psychosomatischen Klinik Bad Honnef und darauffolgendem Kirchenaustritt in Köln gestrandet, um an der Pädagogischen Fakultät bei Prof. Peter Rech Kunsttherapie zu studieren, weil Joseph Beuys bereits gestorben war, ohne zu wissen, daß Peter ein Assistent von Beuys gewesen ist. In der gymnasialen Oberstufe mit Leistungskurs Kunst war für mich nämlich ganz klar, entweder bei Fettjupp (in Düsseldorf) oder Timm Ulrichs (in Münster) an der Kunstakademie zu studieren, nichts anderes interessierte mich wirklich brennend. Da Ulrichs 1989 meine Bewerbung in Form eines alten Arztkoffers mit gefüllten Gläsern (Honig als Urnahrung, Steine als Symbol für Schwerkraft, Luft etc) und der Aufschrift "ZUBEHÖR EINES HEILIGEN" zwar selber mochte, aber trotzdem das Gremium gegen mich entscheiden ließ, war ich gezwungen, im Kölner Berufsinformationszentrum nach Alternativen zu recherchieren. Ich stand dort symbolträchtig in der Mitte des kreisrunden Raums, von Regalen umgeben, die bis zur Decke rundum mit Aktenordnern sämtlicher Berufsbeschreibungen angefüllt waren, wodurch mir plötzlich die Erkenntnis kam, daß ich gar nichts werden möchte, sondern vor der Entscheidung für eine konkrete Tätigkeit in der Gesellschaft erst einmal die sogenannten letzten Fragen zu klären habe, also warum es das ganze Universum überhaupt gibt, welchen Sinn das Ganze hat oder macht und was das Ich sei, also wer ich im tiefsten Inneren eigentlich bin, falls ein absolutes letztes Ich (oder Selbst) dort auffindbar wäre. Erst durch die Beantwortung dieser existenziellen und spirituellen Probleme, so ahnte ich, würde es mir überhaupt möglich sein, den nötigen inneren Frieden zu entwickeln, um meine Talente in eine brauchbare Anwendbarkeit zu überführen, ohne durch ein (und das war eine echte Horrorvorstellung) chronisches Entfremdungsgefühl an irgendeiner Selbstlüge zu ersticken. Da ich mich aber notgedrungenerweise für etwas entscheiden musste, blieb nur die Kunsttherapie, doch ich wollte auf keinen Fall an eine anthroposophische Hochschule, sondern nur ein wissenschaftlich neutrales Studium absolvieren, um sicher zu stellen, alle Methoden gleichwertig kennenzulernen.
In meinem Studentenzimmer in den Selbstmordtürmen von Köln-Efferen gründete ich dann mein eigenes "Institut für Ganz & GarNix" mitsamt G&GN-Selbstverlag und führte dort auf dem Flur der 13. Etage 1990 anläßlich des Golfkrieges meine allererste Solo-Performance "BLUME BOMBE BLUME" auf, während ich mich Jahre zuvor (noch in der Jugend) in einer Pantomimegruppe schauspielerisch ausprobiert hatte. Darüberhinaus verwertete ich meine letzten übrig gebliebenen mit Quarzsand angedickten Farben (das letzte Gemälde "PRESENT" im alten abstrakten Stil hatte ich 1989 vollendet), um den gesamten Flur rundum in ein Wandgemälde zu verwandeln, das sogar noch über 20 Jahre später existierte. Als ich einmal damals die Gelegenheit wahrnahm, dort vorbeizuschauen, geriet ich zufällig in die Renovierungsarbeiten und konnte die Übermalung ganz knapp verhindern. Nach meinem Einstieg in die freie Kölner Kunstszene dank des Manifestes durfte ich mich einige Jahre lang an Projekten beteiligen, darunter auch eine politische Kunstausstellung 1993 der Galerie "arting", bei der ich auf heimlicher Einladung eines beteiligten Künstlers eine Nacktperformance zur Vernissage in dessen Installation vollzog, ohne zu wissen, daß jegliche Aktionen zur Vernissage vom fluchenden Kurator verboten waren, um die Kunstinstallationen in der Halle in andächtiger Stille wirken zu lassen. Auch mein Socialbeat-Gedicht "JENSEITS DER WUT" (vom 12.8.1993) mit der Refrainzeile >>gebäre den engel<< (inspiriert durch den Slogan "Töte den Affen" von Hadayatullah Hübsch) führte ich im Rahmen dieser Ausstellung Anfang August auf: inmitten der Kölner Fußgängerzone auf dem Mülleimer an einer Laterne stehend, brüllend, wie ein verrückt gewordener Schamane pamphletierend! Es war frisch unter dem Eindruck des 1. bundesweiten Socialbeatfestivals geschrieben, an dem ich wenige Tage vorher in Berlin teilgenommen hatte. Aber wieso landete ich als Kölner Kunstaktivist in dieser außerliterarischen Strömung?
Der Zufall wollte es, daß sich mein Verlagsstand auf der Mainzer Buchmesse 1993 in derselben Halle schräg gegenüber der punkigen Bierfraktion befand, wo die Anthologie "Downtown Deutschland" beworben wurde. Am Verlagsstand neben mir wurden religiöse Schriften feilgeboten, natürlich als hochwertige Hefte in aufwendiger Siebdrucktechnik produziert. Das war also der religiöse Underground, mit dem ich nun wirklich rein "ganz und gar nichts" zu tun hatte. Für Abwechslung sorgte der selbsternannte Lyriktherapeut Dr. Treznok, der durch die Hallen zog, um für den Buchstaben Ypsilon zu werben, wodurch eine wunderbare dadasophische Freundschaft begann (ich verlieh ihm viele Jahre später den Nahbellpreis, siehe www.POESIEPREIS.de). Zwischendurch war mir allerdings so langweilig (es kamen nur wenige Besucher und darunter keine Kaufwilligen), daß ich auf den Tisch stieg und spontan kritische Livelyrik intonierte, wodurch die gesamte Halle auf mich aufmerksam wurde. Die Bierfraktion grinste und beobachtete mein dadaistisches Spektakel mit Wohlwollen, Neugier und leichtem Unglauben, ob man mich ernst nehmen könne, so schien mir jedenfalls. Es fällt mir schwer, ein korrektes Gedächtnis an diese magischen Momente wieder wachzurufen, aber de facto blieb mein literaturperformativer Aktionismus gegen die Langeweile der schlecht besuchten Messe anscheinend in guter Erinnerung bei dieser Clique rund um Downtown Deutschland, denn immerhin durfte mich GrIngo Lahr für das Festival aquirieren! Was daraus (bis HEUTE nachwirkend!) folgte, zum Beispiel die spätere Abgrenzung zur Lustlyrik & Pimmelprosa, die eigene Offlyrik-Festivalreihe (www.SCHULGEDICHTE.de), mehrere Manifeste, zahlreiche Lesungen auf kleineren und größeren Bühnen an akademischen und antiliterarischen Orten, unzählige Publikationen in den Zeitschriften der Socialbeat-Bewegung (u.a. als Doppelseite im Osnabrücker "Labyrinth & Minenfeld" Hadayatullahs Affengedicht und mein Engelsgedicht, die wir in der Frankfurter Romanfabrik auch live synchron aufgeführt hatten) sowie die Herausgabe der Produzentenzeitschrift "SchmutzEngel" als Kölner Organ der außerliterarischen Opposition - das genügt für mehrere Fortsetzungsteile, die ein engagierter Germanist dann irgendwann gerne im Interview mit Diktaphon für die Nachwelt retten darf. Bis dahin sag ich nur: NICHT SETZEN, WEITERMACHEN! LAUTE LITERATUR AUS LITERATUR UND LAUTEN MACHEN! Bis einer von uns den Nobelpreis bekommt, um den Rest mit dem Geld zu unterstützen! Und die Nobelpreisrede im Modus genau derselben lauten Liveliteratur halten, damit die Stockholmer Stock-Im-Arsch-Halter einen gewaltigen Hörsturz bekommen!
Übrigens habe ich 1995 ein weiteres Mal in Mainz auf der Buchmesse ausgestellt: auf der 13.MMPM zu ihrem 25. Jubiläum. Dort saß ich zufällig mittags auf den Bierbänken vor dem Messezelt neben Josef 'Biby' Wintjes, in dessen Zeitschrift "IMPRESSUM" (dem Nachfolgeblatt des legendären "Ulcus Molle Info") im Sommer 1994 ein Autorenportrait über mich als "Kölner Dichterfürst" erschienen war, was natürlich ironisch gemeint war, aber insofern auch ernst, als daß ich die SB-Szene damit stellvertretend auffordern wollte, mehr Selbstbewusstsein zu entwickeln; denn ich wollte JEDEN DICHTER mit fürstlichem Respekt behandelt wissen, vorallem von sich selbst! Wie auch immer: Biby und ich saßen schweigsam nebeneinander und aßen Pommes mit Blick in die strahlende Sonne. Dabei wechselten wir kein Wort miteinander, außer uns einen guten Appetit zu wünschen, nicht weil wir uns nichts zu sagen gehabt hätten, sondern weil wir dort saßen, um eine Pause vom Messestress einzulegen. Auch das zeugt von gegenseitigem Respekt: wenn man sich nicht zutextet, nur weil man nebeneinander sitzt, sondern das totale Jetzt so zelebriert, wie es genau jetzt erscheint. Darüber hinaus war ich mit einer Lyriklesung im Keller des Literaturbüros im Rahmenprogramm involviert. Nach meiner Performance, bei der ich den ausrangierten Computermonitor von Dr. Johannes Ullmaier (Autor des späteren Buches "Von Acid nach Adlon und zurück" über die historische Entwicklung des Begriffs "Popliteratur") mit einem Hammer zertrümmerte, während ich Gedichte vortrug, signierte ich die Bruchstücke aus extrem dickem Glas mit einem Edding und präsentierte sie mit frustriertem Sarkasmus als wertvolle Kunstobjekte auf meinem Verlagstisch statt der Publikationen, die sowieso nicht gekauft wurden.
Zwei Jahre später erhielt ich wieder von Jürgen Kipp die Einladung zur Messe und meldete mich zwar nicht an, erhielt aber trotzdem eine Rechnung über eine Seite im Messekatalog, was mich etwas verärgerte: ohne mich zu fragen, war eine Kopie einer Kopie einer Kopie eines Infozettels meines G&GN-Verlags zur Druckvorlage avanciert, ein mit schlechter Schreibmaschine getippter und mit schnellem Eddingstrich grafisch umrahmter Zettel, den ich niemals für den Katalog ausgewählt hätte. Wie es zu diesem Missverständnis kommen konnte, weiß ich bis heute nicht, wie bei so manch anderen ungeklärten skurrilen Begebenheiten, mit denen sich ein ganzes Buch füllen ließe - zum Beispiel ein versuchter Rufmord 2005, weil ich mit den englischen Übersetzungen meiner Gedichte im spiralgebundenen Copy-Art-Heft "DeR eRNST IST eIN MeISTeR AUS DeUTSCHLAND" angeblich zu unerwartetem Reichtum gekommen wäre, ohne der Übersetzerin ihren Anteil zu zahlen. Ich habe zwar selber ein paar harmlose Leichen im Keller und würde mich dafür bei manch einem Mensch gerne nachträglich entschuldigen. Meine "manische" Permakreativität konnte mich wohl auch schonmal in ein (betriebs)blindes Monster verwandeln, ich empfinde das mit dem heutigen Abstand und nötigem Humor rückblickend als peinliche Spätjugendsünden, aber ich habe einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn und lasse mir nicht gerne Gemeinheiten unterjubeln. Wenn ich eins hasse, ist das bis heute diese elitäre Verlogenheit von bornierten "Berufsdichtern", die dank Stipendien, Instituten und Preisen glauben, BESSERE Literatur zu fabrizieren als die Held:innen der Undergroundliteratur (aber ihren Lebensunterhalt in echt als Buchhändler verdienen) und unser "Engagement" (denn "engagierte Literatur" hat nie ausgedient!) hinter unserem Rücken belächeln.
Meine bemühte Fallmanagerin im Düsseldorfer Jobcenter hält mich für einen Don Quijote, obwohl (oder weil) mir die Windmühlen egal geworden sind. Denn was sind schon Windmühlen ohne die heisse Luft der Hoffnung: alles nur idealistische Hirngespinste! Die Hoffnung starb niemals zuletzt, sondern das Ego, das diese Hoffnung erfand. Aber DAS ist wahrhaftig ein anderes Thema und hat nicht direkt mit Socialbeat zu tun, sondern mit meiner Kritik am psychiatrischen Irrtum, immer nur das Ego enttraumatisieren zu wollen anstatt dem psychotischen Mensch zu verraten, wie man sich vom Ich an sich disidentifizieren kann. An diesem Punkt der Geschichte wird auch die klassische Beatliteratur für mich erst interessant, aber die spirituelle BEWUSSTSEINSERWEITERUNG spielte im social reloaded beat keine Rolle. Eine Lesung von mir wurde 1993 mit Tagestipp als SEINSPOESIE angekündigt, weshalb zwei esoterische Damen im Publikum saßen, die enttäuscht waren, daß ich kein "alter, weiser Mann" mit Gurubart war, sondern ein dynamischer Jungdichter ihnen sein Gedicht "INFLATION" frisch geschrieben ins Gesicht brüllte! Mehr hatte ich zur Bewusstseinserweiterung nicht zu bieten (oh, ich hätte noch ganz anderes zu bieten gehabt, aber es war nur ein als Lyriklesung getarnter SUBVERSIVER SATSANG!), natürlich total unerleuchtet aus ihrer sehnsüchtigen Suchersicht. In mehreren Kölner Kneipen klebten noch 20 Jahre später meine alten Plakate und Flyer vergilbt an den besten Stellen, als sei es erst gestern gewesen. Von den tausenden (!) bunten Minikopien meiner Gedichte (mit mutigen Titeln wie "Liebesterroristen"), die ich damals in der gesamten Stadt verklebte, landete eine an der Kühlschranktür seiner WG, erzählte mir jemand auf der Straße, als er erfuhr, wer ich bin. Tja, insofern hatte unsere Undergroundliteratur eine besondere direkte Wirkung, von der man als Autor nicht unbedingt wusste, aber der Social Beat lebte und klebte!
Tom de Toys betrieb von 1998 bis 2000 einen Literatursalon auf der 4.Atelier-Etage des Tacheles: "Als ich 1997 ins Tacheles kam (...) organisierte ich aus eigenen Mitteln auf der 4.Etage die 1.Objektlyrik-Gruppenausstellung mit Vernissage am 4.5.1998 und täglichem Begleitprogramm mit über 50 bundesweiten Autoren im Laufe des Monats (...) ein Second-Hand-Salon, in dem in Folge die Lesereihe "STELL DICH... DICHTER!!!" stattfand. Der letzte lebende Brecht-Assistent Martin Pohl intonierte hier im Winter 1999/2000 seine Gedichte ebenso wie die damals 15-jährige Nachwuchsdichterin Patricia Hempel alias Orélie Octobre." (Fortsetzung im G&GN-INSTITUT & bei KULTURA-EXTRA)
"Als Ricarda de Haas und Wolfgang Spahn meine Lesung in der von HEL organisierten SchwarzlesereY (Umweltbibliothek) im Sommer 1997 nach meinem Auftritt beim 1.Kongreß für Performance und Visuelle Kunst (Dock11) sahen, ahnte ich (damals wegen meiner Band <Das Rilke Radikal> in Düsseldorf wohnend) noch nicht, daß mich dadurch ein Ruf aus den Reihen einiger Hauskünstler ans Kunsthaus TACHELES locken würde, um dort >die Literatur ins Haus zu bringen< (Gert Jott.), was mich zunächst auch wunderte, weil es ja schon Mex Schlüpfer ('R'-Volksbühne) auf der Freifläche gab." Tom de Toys, 23.9.2000 in: 4.TACHELES-REDE "92 ODER 2000: NEMO's OLLE KAMELLE (NÄHKÄSTCHEN AUS DEM WAHREN OFF)"